Das „Klima der Verunsicherung“

In den letzten Jahren ist mir aufgefallen, dass immer mehr Menschen verunsichert und ängstlich sind. Das hat mich dazu bewogen, das E-Book “Angst positiv nutzen” zu schreiben. Darin gebe ich hilfreiche Tipps, wie sich die Wahrnehmung von Angstgefühlen dazu nutzen lässt, die eigene Zukunft bewusster und selbstbestimmter zu gestalten. Im ersten Kapitel geht es um die Auslöser der Verunsicherung.

Vor kurzem war ich auf einer Geburtstagsparty. „Na, wie geht’s denn so?“ ist der übliche Einstieg in den Smalltalk. „Alles bestens…“ ist die Standardantwort. Kurz danach entwickelte sich eine negative Stimmung. Die Gemüter waren schnell erhitzt. Es ging um „diese Leute“. Die „Leute“ seien nicht bereit, etwas für ihr Geld zu tun. Wir alle müssten deshalb für sie bezahlen. Hart arbeitende Menschen würden unter unnötigen Abgaben leiden. Die Verhältnisse würden immer schlimmer. Usw.

Ich habe den Mindestlohn und die Notwendigkeit zum Aufstocken ins Gespräch gebracht, um für Menschen mit niedrigem Verdienst in die Bresche zu springen. Mein Argument wurde vielstimmig abgewiesen. Die „Leute“ hätten doch alle Chancen der Welt gehabt, mit mehr Ehrgeiz mehr Geld zu verdienen. „Alles Schnorrer“.

Die Partygäste sind wohl situiert. Jede/r von ihnen hat ein eigenes Haus, wenigstens zwei PKW, hochwertige Bekleidung, kostspielige Urlaubsziele. Was verunsichert sie derart, dass sie sich Sündenböcke als Erklärung suchen müssen?

Ist es tatsächlich die Sozialschnorrerei, die die innere Stabilität und die Zuversicht von gut situierten Menschen ins Wanken bringt? Oder sind es die häufig als  „Wirtschaftsflüchtlinge“ bezeichneten Flüchtlinge aus Kriegs- oder Armutsgebieten, die unsere Arbeits- und Lebenswelt verändern?

Wie ist die Lage?

In Deutschland ist es den Menschen selten so gut gegangen wie in den letzten Jahrzehnten. Wir leben in einer Wohlstandsnation mit nahezu Vollbeschäftigung, Frieden im Inland, keinen Hungernden und einer guten medizinischen Versorgung. Dennoch macht sich ein Klima der Unsicherheit breit. Die „soziale Schere“ klafft auf. Die Terroranschläge in Europa kommen hinzu. Viele Menschen machen sich Sorgen oder haben Angst.

Fakt ist, dass in Deutschland 20 Prozent der Menschen von Armut bedroht sind. Als armutsgefährdet  gilt, wer weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens zur Verfügung hat. Das betrifft z. B. 7,1 % der Vollzeitbeschäftigten, die als „Aufstocker“ soziale Leistungen für ihre Familien und sich beziehen müssen, um über die Runden zu kommen. Wer in einer Großstadt lebt und mit in einem 4- Personen-Haushalt € 1.630,00 brutto plus Kindergeld im Monat zur Verfügung hat, kommt damit nicht weit. Das Nettogehalt reicht für nicht viel mehr als die Miete. Wenn man nicht mal die Klassenfahrt des Kindes bezahlen kann und eine Heizkostennachforderung die finanzielle Katastrophe bedeutet, hat man wirklich Sorgen.

Doch auch Menschen mit mittlerem und höherem Einkommen sind verunsichert. In den letzten Jahren hat sich die Arbeitswelt gewandelt. Werde ich morgen noch einen festen Job haben? Gehören meine Fachkompetenzen bald zum alten Eisen? Kann ich meinen Lebensstandard halten? Branchen, die wie Behörden funktioniert haben, bauen im Rahmen der Digitalisierung Personal ab. Vor zwanzig Jahren hätte sich niemand vorstellen können, was aktuell auf dem Banken- und Versicherungssektor passiert.  Bei VW habe ich eine Betriebsbesichtigung gemacht und konnte sehen, in welchem Umfang dort menschliche Arbeit bereits von Robotern übernommen wurde.

Der Wandel unserer Arbeitswelt

In der Frankfurter Allgemeine vom 31. Dezember 2016 habe ich eine Statistik zum Thema „Stellenabbau in Deutschland“ gefunden. VW wird bis 2025 14.000 Stellen abbauen, die Commerzbank bis 2020 7.100, die Deutsche Bahn ohne Zeitangabe 2.100 im Güterverkehr. Weiter geht es mit Unternehmen verschiedenster Branchen. Versicherungen, Krankenkassen, Fluggesellschaften, Autozulieferer, Handel, Energieversorger, Pharmaunternehmen und viele andere mehr.

Doch es gibt auch Neueinstellungen und offene Stellen. An der Spitze liegen zwei Personaldienstleister mit 14.900 Stellen in 2016. Beratungsunternehmen stocken ebenfalls Personal auf. In einigen Bereichen wird dringend Fachpersonal gesucht. Ganz neue Berufe entstehen im IT- und Social Media-Bereich.

Bei größeren Unternehmen wurden insgesamt 57.000 Stellen abgebaut, aber 67.000 Einstellungen vorgenommen. Im Vergleich zu 2005 (160.000 abgebaute Stellen, 71.000 Einstellungen) hat sich die Konjunktur also positiv auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt.

Was jedoch auffällt: Die offenen Stellen bei Personaldienstleistern mögen zum Teil im Bereich Personalvermittlung liegen, viele spiegeln allerdings auch den Bedarf der Wirtschaft an zeitweiliger Überlassung von Arbeitnehmern wider. Flexibilisierung des Personaleinsatzes ist ein großer Trend, der sich nicht gerade positiv auf die Einkommen der Arbeitnehmer auswirkt. Ein fester Arbeitsplatz bei einer Personalvermittlung kann bedeuten, ein deutlich geringeres Gehalt akzeptieren zu müssen.

Veränderung wird alltäglich

Change Management heißt das Zauberwort für die umfassenden Veränderungsprozesse, die sich in der Wirtschaft abspielen. Noch schneller auf Entwicklungen des Marktes reagieren, Kosten minimieren und Leistung immer weiter steigern sind Aspekte, die zum Arbeitsleben inzwischen hinzugehören.

Auch vor Beamten machen diese Veränderungen nicht halt. Eine Mitarbeiterin der Rentenversicherung in Berlin hat mir gesagt, sie würde sich am nächsten Baum aufhängen, wenn sie sich nicht privat von ihrer Arbeit abgrenzen könnte. Immer mehr, immer schneller, immer reglementierter. Früher hat man sich Behördenmitarbeiter als verschnarchte Typen vorgestellt, die sich einen lauen Lenz machen. Erinnern Sie sich noch an den Aufschrei in den Medien, als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder Lehrer als „faule Säcke“ tituliert hat?

Gibt es heute noch Enklaven des bezahlten Faulseins? Ich kenne nur einzelne Menschen, denen man beim Arbeiten die Schuhe besohlen könnte. Ganze Branchen oder Behörden mit diesem Schlendrian kenne ich jedoch nicht. Im Umkehrschluss heißt das: In der Regel muss man sich seinen Lohn oder sein Gehalt schwer erarbeiten. Und kann sich dabei nicht mehr sicher sein, dass man trotz hoher Leistung seinen Job behält. Denn es kommt nicht mehr auf die Leistung des Einzelnen an, sondern darauf, ob seine Leistung überhaupt noch gebraucht wird.

In den letzten Jahren wurde die Gefahr eines Arbeitsplatzverlusts also realer. Jeder kennt jemanden, der davon betroffen ist und garantiert nicht zu den faulen Säcken zählt. Das widerspricht aber den Erfahrungen aus der Vergangenheit, als Arbeitsplätze weitestgehend sicher waren, wenn man entsprechende Leistung gezeigt hat.

Flexibilität ist gefragt

Diese relativ neue Situation verunsichert und macht Angst. In Deutschland sind wir es nicht gewohnt, uns flexibel im Arbeitsmarkt zu bewegen. Bisher hat unser Ausbildungssystem dafür gesorgt, dass ein Schuster bis zur Rente bei seinen Leisten blieb. Studium oder Ausbildung waren in den meisten Fällen sehr zielgerichtet. Man ist ein Arbeitsleben lang geblieben, für was man ausgebildet wurde.

In anderen Ländern wird das anders gehandhabt. Wo es kein entsprechendes Berufsbildungssystem gibt, bilden sich Arbeitskräfte durch „learning by doing“ weiter. Deshalb ist es z. B. in den USA selbstverständlich, sein Tätigkeitsfeld zu ändern, wenn der alte Job gekündigt wird.

Aus welcher Richtung die Veränderungen kommen, ist also klar. Unklar ist, was uns alle erwartet und ob wir unseren persönlichen Wohlstand erhalten können. Die zukünftige Entwicklung, wie etwa „Industrie 4.0“, ist noch etwas sehr Diffuses. Zu fremd und neu für viele von uns, um sie einschätzen zu können. Deshalb reagieren wir mit Unsicherheit und Angst.

Was Angst mit uns macht, wie Du sie aber aktiv für Deine Weiterentwicklung einsetzen kannst, erfährst Du in meinem kostenlosen E-Book „Angst positiv nutzen – Berufliche Veränderung als Chance“.

Herzlichst

Mike Warmeling