Berufstätige Eltern haben häufig neben mehr Stress auch immer wieder mit Schuldgefühlen zu kämpfen

Freitagnachmittag, 16.30 Uhr. Das Gespräch mit einem potenziellen Kunden hat länger gedauert als geplant. Du eilst zum Kindergarten und hast den geforderten selbstgebackenen Kuchen nicht dabei. Gestern Abend wolltest Du nach einem langen Arbeitstag lieber noch ein Stündchen mit dem Kind spielen, statt Kuchen zu backen. Außerdem bist Du nicht gerade der Kuchenback-Typ. Die anderen Eltern und die Erzieherinnen sitzen schon seit 15.00 Uhr zusammen und stecken tuschelnd die Köpfe zusammen, als Du abgehetzt den Raum betrittst. Die Gruppenleiterin Deiner Kinder sagt zu Deinem Sprössling: „Da kommt Deine Mama/Dein Papa ja endlich!“ Dein Kind wirft dir keinen Blick zu und spielt weiter. Du beißt die Zähne zusammen, jetzt nicht aggressiv werden, sagst möglichst fröhlich „Hallo“, wirfst der Erzieherin innerlich ein herzhaftes „blöde Kuh“ zu und suchst Dir einen Platz in der Runde. Dein Tischnachbar ist verbeamteter Lehrer. Er meint grinsend: „Na, wie läuft Dein Geschäft denn? Kannst Du Dir immer noch keine Angestellten leisten, die freitagsnachmittags das Büro hüten?“ Du haust ihm nicht auf die Nase.

Familie + Beruf = Schuldgefühle?

Sondern: Treffer, versenkt. Da kommen sie hervorgekrochen, die typischen Schuldgefühle. In Deinem Magen sackt plötzlich ein Fahrstuhl nach unten, Du könntest kotzen. Du fühlst Dich als Versager auf ganzer Linie. Nichts kriegst Du auf die Reihe, bist eine schlechte Mutter (oder ein schlechter Vater) und hast immer noch nicht den großen unternehmerischen Durchbruch geschafft. Zuhause warten zahlreiche Aufgaben, der Garten und später am Abend nach ihrer/seiner Arbeit ein genervter Partner/Partnerin, für den/die Du zu wenig Zeit hast. Was bist Du nur für ein unnützer Mensch! Typisch oder übertrieben? Es passiert berufstätigen Eltern oft, dass sie sich der s.g. Mehrfachbelastung und dem Stress nicht gewachsen fühlen. In der Folge entwickeln sie Schuldgefühle, die sich bis zur Depression verdichten können. Frauen sind besonders davon betroffen, weil man von ihnen selbstverständlich die perfekte Ableistung der Familienarbeit erwartet. Immer noch. Muss man damit leben, quasi als Buße für die Entscheidung, Kinder zu haben und berufstätig/selbstständig zu sein?

Woher kommen die Schuldgefühle?

Schuldgefühle sind das Resultat von Erziehung. Kinder werden für ihre Fehler durch Zurechtweisung und Ablehnung bestraft. „Du warst nicht lieb. Geh in dein Zimmer!“ Dadurch lernen sie 1. sich bei Fehlern selbst abzulehnen und „Schuldgefühle“ zu entwickeln, und 2. Erwartungen anderer zu erfüllen, um nicht abgelehnt zu werden. Vertiefen sich diese Erfahrungen, versucht der Betroffene später in seinem Leben unbewusst die Wünsche und Erwartungen anderer vorwegzunehmen, um Annahme und Zuwendung zu erreichen. Wird er diesen übernommenen Erwartungen nicht gerecht, fühlt er sich schuldig. Auch Menschen, die längst nach einem anderen Rollenmodell leben, als Ihre Eltern und Großeltern, schleppen in ihrem Unterbewusstsein noch alte Werte und Moralvorstellungen mit sich herum. „Ein Kind gehört zu seiner Mutter.“ Merkwürdig, wenn das so generell als Totschlagargument gegen die Entscheidung für Tagesmütter und andere Kinderbetreuungslösungen gilt, warum dürfen Kinder dann in den Kindergarten oder in die Schule? Ursache der Schuldgefühle sind also eigentlich Erwartungen anderer, die man verinnerlicht hat. Eine Rolle dabei spielen das fehlende Bewusstsein und der fehlende Mut, seine eigenen Erwartungen zu formulieren und umzusetzen:

● Wie will ich leben?
● Wie soll meine Partnerschaft aussehen?
● Gehört mein Job unverzichtbar zu meinem Lebenskonzept? Welche Prioritäten setze ich?
● Welches Leben wünsche ich mir für mich, meine Partnerschaft und meine Kinder?
● Geht es meinem/n Kinder/n gut?
● Erleben sie durch meine Berufstätigkeit einen Mangel?
● Kann ich etwas verbessern?
● Nehme ich mir freie Zeit für sie?
● Habe ich ein tragfähiges Netzwerk aus Familie und Freunden, um den Kindern im Notfall gerecht zu werden?
● Welche Ansprüche stelle ich an mich?
● Sind sie realistisch?
● Bin ich zu perfektionistisch?
● Bin ich zufrieden mit meinem Leben, so wie es ist?

Was will ich wirklich?

Es ist gar nicht so einfach, diese Fragen zu beantworten, wenn es wirklich um die eigenen Wünsche und Einschätzungen gehen soll. Mit wessen Augen schaue ich auf mein Leben? Mit meinen, oder mit denen meiner Eltern, Freunde, Nachbarn, Erzieherinnen, Lehrer, der vorherrschenden gesellschaftlichen Sicht – was halt so erwartet wird? Harte Arbeit, das exakt zu filtern und herauszufinden, was man tatsächlich selber will. Welche Regeln gelten für mich und was werte ich als richtig oder falsch?

Realistisch oder perfektionistisch?

Wichtig ist es auch, sich selber mit aller Unvollkommenheit zu mögen. Keiner ist perfekt, jeder macht mal Fehler. Negativ ist es, aus echten Fehlern nicht zu lernen. Gut ist es, Fehler zum Bessermachen zu nutzen. Wenn es sich jedoch um Fehler handelt, die man sich selber einbildet, weil man den eigenen oder den angenommenen Erwartungen anderer nicht gerecht wird, setzt man sich unnötig unter Stress. In wie vielen Rollen, die Du in Deinem Leben ausfüllen willst, kannst Du überhaupt perfekt sein? Wer kann das schaffen? Wie können mein erfüllender Job, meine reizenden Kinder, mein/e liebenswerte/r Partner/Partnerin, Hund, Katze, Maus und Haus zu einer „Mehrfachbelastung“ werden? Was ist das überhaupt für ein Begriff? All das ist doch Teil meines Lebens und eigentlich eine Bereicherung! Zur Belastung wird das alles, wenn wir nicht locker lassen können und zu hohe Ansprüche an uns selbst stellen. Planen, Prioritäten setzen, mit Katastrophen und Chaos jonglieren, mal etwas nicht schaffen – das ist völlig normal, bei dem Pensum, das wir tagtäglich leisten! So lange sich alle dabei wohl fühlen, ist doch alles gut, obwohl mal irgendwas liegen bleibt. Also: Keine Schuldgefühle, keine Entschuldigungen, sondern nach bestem Wissen und Gewissen, und vor allem: nach eigenen Maßstäben handeln.

Locker lassen, flexibler werden

Wie oft habe ich mich total abgehetzt, um meine Tochter pünktlich bei Freundinnen oder Freunden abzuholen. „Wollen wir einen Kaffee trinken? Die Kinder spielen gerade so schön.“, wurde ich oft empfangen. Ich habe mich dazu erzogen, telefonisch nachzufragen, ob das Kind noch etwas länger bleiben kann, wenn ich mich im Job noch nicht frei machen konnte. Allerdings habe ich, wann immer möglich, eine feste Zeitangabe gemacht, denn Verlässlichkeit ist wichtig, für das eigene Kinde ebenso wie für die Gasteltern. Außerdem habe ich es mir angewöhnt, für Geschäftstermine einen festen Zeitrahmen einzuführen. Auch Kunden wollen pünktlich nach Hause. Die meisten Menschen sind doch froh, wenn Besprechungen nicht bis in die Puppen dauern. Schritt für Schritt lassen sich Job und Privatleben besser zusammenfügen. Was jedoch nie verhindert, dass ständig Überraschungen und kleine Turbulenzen den guten Tagesplan ad absurdum führen. Na und? Trotzdem läuft alles irgendwie.

Die Sache mit dem selbstgebackenen Kuchen für den Kindergarten habe ich tatsächlich erlebt. Bei nächster Gelegenheit habe ich mit meiner Tochter etwas ausgehandelt. Wieder musste unbedingt Selbstgebackenes mitgebracht werden. Meine Tochter hätte sich geschämt, wäre ich mit leeren Händen aufgekreuzt. Ich durfte aber ruhig schummeln. Ich habe Muffins gekauft und sie schnell mit Fertigglasur aus der Tüte überzogen. Möglichst unperfekt, damit sie aussehen, wie man es von berufstätigen Rabeneltern erwartet. Keiner hat die Schummelei bemerkt. Aber meine Tochter hat gegrinst und mich gedrückt. Ich bin nicht perfekt. Aber das Improvisieren habe ich zu 100 Prozent gelernt! In meinem E-Book „Zukunft erfolgreich gestalten“ findest du mehr Tipps zum Thema. Lade es dir hier kostenlos herunter!

Mike Warmeling