Über den Wert des Pragmatismus im Zeitalter der Kommunikation.

Kochvisionen

Ich schaue mir gerne Kochbücher an. Die Fotos, die Rezepte, die Schritt-für-Schritt-Anleitungen. Meistens bevor ich mir etwas beim Lieferdienst bestelle und nachdem ich dachte, ich könnte ja mal was kochen. So eine Nudelpfanne, eine Tomatensuppe, ein Drei-Gänge-Menü. Ich müsste nur einkaufen, müsste schauen, ob ich alle Gewürze habe, ob die Pfanne gespült ist und so weiter. Ich müsste nur anfangen, dann aber sehe ich andere Rezepte, kann mich nicht entscheiden, halte manche Schritte einfach für zu kompliziert und lasse es dann doch. Später erzähle ich meinen Freunden am Telefon von meinen fast gekochten Leckereien. Ich hätte doch mal ein Mousse-au-Chocolat kreieren können, es ist doch gar nicht so schwer. Doch am Ende habe ich einen Bio-Joghurt gelöffelt, 79 Cent vom Rewe.

“Wenn de nix machst, machst Du auch nix”, sagt mein Vater mit seiner niederrheinischen Weisheit. Recht hat er. Aus dem bloßen Gedanken, dem Wunsch, dem Reden entsteht kein guter Sauerbraten. Er bleibt eine Vorstellung und macht am Ende auch nicht satt. Und der Lieferdienst bringt nichts, was aus der eigenen Hände Arbeit oder Ideenwelt entstanden wäre. Der Lieferdienst ist wie der App-Store, alles in kleinen Häppchen bestellbar, der eigene Anteil beschränkt sich aufs Bestellen, Herunterladen, auf den Nutzen.

 

Ideenroulette

Wie oft habe ich schon mit Kollegen zusammen gesessen und darüber philosophiert, dass es doch großartig wäre, einmal eine besondere Geschäftsidee umzusetzen. Einen Artikel zum Thema Geschäftsideen haben wir unter warmeling.consulting/geschaeftsideen/ veröffentlicht.

Wir feiern uns dabei in der Nutzung des Konjunktivs, schwelgen in der Vorstellung, selber diese simple Idee von Twitter gehabt zu haben. Wir können stundenlang darüber reden, getan haben wir noch nie etwas. Die Idee blieb eine Wunschvorstellung. So wie die selbstgemachten Käsknödel.

Und im Job. Da sitzen wir in Projektgruppen und schaffen es in zehn Terminen nicht, einen Ansatz zu finden, wie ein hochkomplexes Projekt realisiert werden könnte. Was hier auch an Geld verbrannt wird. Immer wieder werden Fragen nach der Umsetzung, der Zuständigkeit, den Zielen, den Meilensteinen, den Visionen diskutiert, das Projekt verkompliziert sich und entfernt sich mehr und mehr von einer irgendwie überschaubaren Umsetzung.

Falsche Theorie

Ich habe mittlerweile einen Verdacht. Den Verdacht, dass diejenigen, die einfach mal anfangen wollen, eine pragmatische Lösung anbieten und Dinge anhand eines Prototypen aufzeigen wollen, also die aus den Resten einfach was Leckeres kochen wollen, als konzeptionslos, als unstrukturiert angesehen werden. Wer redet und Powerpoint-Folien mit möglichst vielen Allgemeinplätzen und Fremdwörtern erstellt, die fremd und intelligent klingen, erhält die Anerkennung der Projekt-Platzhirsche. Wer dagegen sagt, können wir nicht einfach mal eine erste Seite ausprobieren, machen, damit wir vielleicht ein intuitives Gefühl für unsere Fragestellung, die Aufgabe und das Projekt als Ganzes bekommen, wird sehr schnell als konzeptionslos, zu pragmatisch, auf der Metaebene nicht bewandert angesehen.

Doch das ist falsch. Wer nichts macht, der redet, dadurch entsteht vielfach aber nur heiße Luft, einschläfernde Präsentationen und ein ungeheuer aufgeblähter Projektplan mit Mitarbeitern, die sich andauernd widersprechen und ihre eigenen Interessen gegen die anderen ausspielen. Es fehlt dabei allzu oft die richtige Herangehensweise. Doch gerade die ist das pragmatische Herangehen. Denn sie bindet die unterschiedlichen Kompetenzen ganz anders. Jeder kann seine theoretischen Konzept dort einbringen und überprüfen, ob der erste Vorschlag seiner Idee entspricht oder was zu ändern ist.

 

Pragmatiker

Ich bin kein Gegner von strategischen Überlegungen und ausgefeilten Konzepten, aber die Pragmatik hat in solchen Überlegungen oft zu Unrecht einen zu geringen Wert. Pragmatik bedeutet Zeitgewinn, bedeutet Anschaulichkeit, bedeutet Konkretisierung. Selbst wenn kleine Programmierungen wieder verworfen werden, der Lerneffekt ist enorm und bringt alle Beteiligten viel weiter. Wenn das erste Gericht nicht schmeckt, weiß man beim nächsten Mal, wo etwas anderes noch hinzugefügt werden muss. Und wer nicht weiß, was er nicht will, wird auch nicht das Richtige auswählen. Am Ende muss der Fisch schmecken, die Idee vom Angeln hilft nicht viel, um den Magen voll zu kriegen.

 

Einfach machen

In der “brand eins” vom Juni mit dem Schwerpunkt “Einfach machen” wird in Bezug auf Softwareentwicklung von “Agile” berichtet, in der die Unterteilung von Projektentwicklung in kleinen Schritte gesprochen wird. “Agile” ist das Ergebnis aus Großprojekten, die immer mehr zur Zermürbung der Teilnehmer führten. “Agile” will die Rückführung auf den Kern der Pragmatik befördern. Und überdies soll die Kompliziertheit aus den Projekten genommen werden. Denn “vor allem Experten seien darin geübt, einfache Fragen und Zusammenhänge durch komplizierte Sprache in ein scheinbar undurchdringliches Dickicht zu verwandeln.”

Am Ende steht die Frage, warum wir einfach machen sollten? Weil es großartig ist, sich frei zu machen, einfach zu machen. Weil man einfach mal anfangen sollte, ohne zu wissen, wo es langgeht. Weil es auch Spaß macht. Viel mehr Spaß, als sich von PowerPoint-Folien einschläfern zu lassen. Und weil den schmalen, kleinen, unkomplexen Projekten die Zukunft gehört.

Ein Gastbeitrag von Markus Paulußen
http://paulussen.jimdo.com/