Wie Sie sich in einer Woche neu positionieren und orientieren

Es hört sich unmöglich an. Sieben Tage für ein neues Leben? Lediglich sieben Tage für eine Kehrtwende? Wofür andere Wochen ins Kloster gehen oder ein halbes Jahr Auszeit nehmen, reichen da nur sieben Tage? Das ist sicherlich die erste Reaktion, wenn Sie diesen Blogbeitrag lesen.

Doch ich selber habe es geschafft. Denn als Familienvater und Angestellter einer Universität konnte ich nicht einfach so alles für eine bestimmte Zeit hinter mir lassen. Ich konnte weder meiner Familie noch meinem Chef sagen, dass sie auf ihren Ernährer und Leiter des Internetbereichs länger verzichten sollten. Außerdem fehlten mir die finanziellen Ressourcen, um einen dreimonatigen Selbstfindungstrip ohne Gehalt zu überstehen.

Festgefahren im Selbst

Doch raus musste ich. Das war mir klar. Mich irgendwie neu orientieren nach einem hässlichen Burn-Out und vielen Selbstzweifeln. Die Fragen nach dem, was ich mit Mitte 40 tun will und kann, drängten sich immer mehr auf. Doch der Sommerurlaub mit Familie auf einer Alm oder ein Wochenende mit Freunden an der Nordsee waren nicht wirklich dafür geeignet. Hier steckte ich in meinen Rollen fest, konnte mich nicht wirklich lösen. Mit einem Mal sah ich um mich herum lauter Leute, die ebenso in ihren Rollen vollkommen feststeckten. Auch den Hausfrauen, die für die Kinder ihren Job an den Nagel gehängt hatten, sah ich ihre Sehnsucht nach etwas anderem in jedem Augenblick an. Überall wirken die alltäglichen Verpflichtungen wie eine Klammer, die den Menschen ihre Potentiale raubt.

Eine Idee aus mir heraus

Ich hatte also das Problem identifiziert. Doch das Sabbatjahr war ein frommer Wunsch. Und war das wirklich zielführend? Würde mich in einem solchen Jahr nicht das schlechte Gewissen auffressen, das schlechte Gewissen die Familie und die Kollegen im Stich gelassen zu haben? Was also konnte ich machen? Eines Morgens wachte ich mit einer Idee auf. Ich würde direkt die folgende Woche Urlaub nehmen und nur für mich sein. Sieben Tage lang. Das kostete mich wenig, und ich konnte in Job und Familie schnell Zustimmung erhalten, denn meine Idee war im Prinzip ganz einfach: Ich nehme mir eine Woche eine komplette Auszeit, bin wie weg, nicht ansprechbar für die alltäglichen Pflichten, sondern ganz bei mir und den sieben Tagen. Jeder kann das, dachte ich. Jeder sollte das. Ich auch.

Sieben Sehnsüchte

Und darin steckte das Besondere dieser Idee. Jeder der sieben Tage war als einzelner besonderer Tag geplant mit einer Aufgabe, nein, eher mit einer gelebten Sehnsucht, die mit meinem vergangenem oder einem zukünftigen Leben zu tun hatte. Ich wollte wissen, was mir die Kunst, die ich einst studiert hatte, heute noch bedeutete. Wollte wissen, ob ich diese Sehnsucht, die ich als Student hatte, nämlich einen Roman zu schreiben, noch in mir spürte. Mich einen Tag wandernd durch die Natur treiben zu lassen und einen Tag in einer Großstadt in Museen und Bibliotheken zu verbringen, sollte mich auf neue Ideen bringen. Wollte dabei all das in meinem Blog aufschreiben und erkennen, was auch dieses Bloggen und Schreiben für mich bedeuten könnte. Auch verbrachte ich einen Tag mit meiner Familie, ganz intensiv, denn sie gehört nun ja auch zu meinem Leben, unabdingbar. An einem Tag beschäftigte ich mich jedoch auch mit einer bis dahin nicht ausgelebten Leidenschaft, der Fotografie, und hier besonders dem Porträt. Dafür engagierte ich einen Studenten, der mein erstes Model wurde.

Fotografisches Innenleben

Im Nachhinein hat diese Begegnung und besonders dieser Tag mein Leben verändert. Ich genoss zwar jeden sehr unterschiedlichen Tag, aber die Sache mit der Fotografie und die anschließende Bearbeitung am Computer faszinierte mich dermaßen, dass mein Innerstes sich in Zufriedenheit sonnte. Ich hatte jenseits aller Verpflichtungen in nur sieben Tagen den Kern meiner Persönlichkeit wiedergefunden. Und dieser Kern hieß und heißt für mich „Zufriedenheit durch Kreativität“. Die dadurch erhaltene Anerkennung ist mittlerweile für mich und mein Leben sehr wertvoll geworden.

Anleitung zum Nachmachen

Ich kann nur sagen, sieben Tage Auszeit wirken. Machen Sie es mir nach. Sieben Tage sind kein großes Risiko, können aber eine enorme Wirkung haben. Dabei geht es nicht um Strandurlaub, sondern um Arbeit. Sieben Uhr aufstehen. Um acht Uhr loslegen. Sprechen Sie mit ihrer Familie und sorgen Sie für Kinderbetreuung (vielleicht muss der Partner auch Urlaub nehmen, das ist der Preis, er oder sie sollte aber auch die Möglichkeit bekommen, sieben Tage einmal rauszukommen). Planen Sie fünf bis sieben Themen für die Tage, und gehen Sie vielleicht auch für ein paar Tage in ein Hotel, wenn Sie zuhause keine Ruhe haben. Am letzten Tag sollten Sie ein Resümee ziehen. (Gott, das hört sich ja sehr theologisch an, ist aber eher Zufall. Oder doch nicht? Wer weiß das schon).



Schreiben Sie das auf, was Sie erlebt haben, entweder in ein Notizbuch oder elektronisch in einen Blog. So haben Sie selbst nachher noch einen Nachweis für sich, was Sie gemacht haben. Halten Sie alles mit einer Kamera fest. Das Wichtigste: bleiben Sie für sich, mit sich, mit Konzentration auf die Sehnsucht, der sie an jedem einzelnen dieser Tage nachspüren sollten. So können sie die sieben Tage ganz auf sich wirken lassen. Jeder Tag entfaltet dann eine Qualität, die sie vorher so nicht erwartet hatten. Spüren Sie zum Beispiel die Macht des Zufalls. Sie werden erstaunt sein über die Qualität von Leben, über die Qualität ihres Lebens.

Klarheit schaffen

Also, gerade bevor große Entscheidungen in ihrem Leben anstehen, Sie zum Beispiel vor einer Existenzgründung stehen, sollten Sie sich durch die sieben Tage auf ihrem Weg entweder Bestätigung oder auch Ablehnung holen. Denn jeder muss ja auch wissen, was er oder sie nicht will, und darum geht es auch. Was will ich, und was will ich nicht (mehr), was mir früher vielleicht wichtig war. Am Ende werden Sie merken, es gibt nichts Besseres als Gelassenheit, Abstand und Klarheit. Das zumindest kann ich Ihnen versprechen, dass Sie das finden werden.

Endlich verändert

Mein Leben hat sich dadurch jedenfalls verändert. Nicht alles zum Guten, aber das Meiste ist besser als dieser Stillstand, der sich zuvor als Zwangsjacke über mich gelegt hatte. Heute ist mein Seelenkleid wesentlich luftiger und leichter. Es weht in der Erinnerung an eine tolle Sieben-Tage-Woche.

Markus Paulußen im Mai 2016
www.markus-paulussen.de

Wir danken Markus Paulußen herzlich für diesen Gastbeitrag und das tolle Foto!